Anton Wimmer
|
Geboren: 16. Juli 1901
Deportiert: 21. Mai 1941 nach Hartheim, wo er ermordet wurde „Die Absicht der UN Menschenrechtskonvention für Menschen mit Behinderung ist es den vollen und gleichgestellten Genuss aller Menschenrechte und fundamentalen Freiheiten für alle Menschen mit Behinderung zu fördern, zu schützen und zu sichern, sowie den Respekt für die unantastbare Würde dieser Menschen zu fördern.“ Artikel 1 der UN Menschenrechtskonvention für Menschen mit Behinderung 2006 /2009 von Österreich 2009 unterzeichnet. Artikel 3 UN-Behindertenrechtskonvention: Prinzipien dieser Konvention sind: ... 3.Volle und durchgängige Partizipation und Inklusion in allen Bereichen der Gesellschaft ... 5. Chancengleichheit / Gleichheit der Möglichkeiten ... „Meine Widerstandskraft hat in den letzten Jahren abgenommen. Ich habe bis vor einigen Tagen gearbeitet; hab nur eine stickstoffarme Nahrung erhalten und bin bis auf den letzten Nervenstoff fertig. Früher bin ich immer gesund gewesen.“ Zitat Wimmer Anton (39 Jahre) 15. April 1941, die ersten Sätze aus dem Aufnahmegespräch im Krankenprotokoll der Salzburger Landesheilanstalt für Geistes- und Gemütskranke. Herr Wimmer kam alleine in die Klinik. Er machte sich auf den damals weiten Weg in die fremde Stadt- vergleichbar mit einer Fernreise- von St. Johann Ginau vom Gut Oberlehen nach Salzburg und begehrte die Aufnahme, weil er sich nicht gut, sich sehr geschwächt fühlte und Hilfe erhoffte. Aus der Krankengeschichte der Landesheilanstalt sind noch weitere Informationen zu entnehmen: Unehelich geboren am 16. Juli 1901, also noch in der Kaiserzeit in Saalfelden als Sohn von Barbara Wimmer (Landarbeiterin) und Johann Eckinger ( Bauer). Die beiden dürften später geheiratet haben. Der Sohn behielt aber den Ledigennamen seiner Mutter. Er absolvierte die Volksschule in Saalfelden und habe gut gelernt; verdingte sich nach der Schule als Hilfs- und Landarbeiter und die Arbeit führte ihn auf das Gut Oberlehen in St. Johann Ginau. Aus dem Aufnahmebefund geht weiters hervor, er sei sehr gesprächig und orientiert gewesen, käme von einem Thema zum andern und sei sehr schwer auf ein Thema zu zentrieren. Neben der allgemeinen Schwäche litt er auch an einem Schmerz -und Bewegungsproblem an der linken Schulter. Es wurde von den Ärzten aufgrund der von Herrn Wimmer geschilderten diversen politischen und persönlichen Ideen eine Schizophrenie diagnostiziert u. a „ich bin aus Adeligkeit, Wahrheit und Gott zusammengesetzt“. (Zitat) Er wurde erbbiologisch erfasst und gemeldet. Er war weder aggressiv noch sonst irgendwie anstrengend oder lästig. Ein Monat nach der Aufnahme wurde er einer damaligen Standardtherapie gegen Schizophrenie unterzogen (eine Serie künstlich ausgelöster epileptischer Anfälle durch das Medikament Cardiazol). Diese Behandlung hatte nicht nur keinen Erfolg, sondern führte dazu, dass er immer verwirrter wurde, weshalb man die Therapie nach einem Monat einstellte. Weiter gezielte Förderungen oder medizinische Hilfen gab es nicht. Bemerkenswert ist, dass: 1.Die in der Krankengeschichte geschilderten psychischen „Auffälligkeiten“ eine sehr milde Verlaufsform einer Psychose zeigen. 2. Der Hauptgrund für die von ihm selbst begehrte Aufnahme war eine von Herrn Wimmer geschilderte körperliche Schwäche. In den Krankenaufzeichnungen gibt es auch Hinweise, dass Herr Wimmer an Tuberkulose erkrankt sein könnte – es ist die Rede von einem sog. kalten Abszess an der rechten Brustseite – dies würde die Entkräftung, die Herr Wimmer schilderte, erklären. Und würde bedeuten, dass er in der falschen Abteilung behandelt wurde. Eine der letzten Eintragungen in der vorhandenen Krankengeschichte von September 1940: „Liegt immer im Bett, Bettdecke über dem Kopf, gibt nur zerfahrene Antworten.“ Anton Wimmer wurde am 21. Mai 1941 im 40. Lebensjahr im vierten und letzten Transport von der Landesnervenheilanstalt Salzburg in einem Omnibus nach Hartheim transferiert, wo er – wie alle anderen 262 Opfer – in der Gaskammer ermordet wurde. (DÖW) Tragisch ist, dass: Herr Wimmer im Grunde gar nicht zwingend in der Nervenheilanstalt behandelt werden musste. Herr Wimmer durch seine psychische Besonderheit in seinem körperlichen Leiden nicht wahrgenommen wurde. Die wahrscheinlich gut gemeinte Behandlung von Herrn Wimmer in der Landesheilanstalt zeigt das mangelhaft einfühlende Verständnis für seine Not – die körperliche Schwäche, zeigt die Vorurteile und damit auch einen Teil des gesellschaftlichen Bodens der Gräueltaten dieser Zeit. Auch heute besteht in Österreich, im Land Salzburg, in St. Johann viel Unverständnis, Angst und mangelndes Mitgefühl besonders für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Die Folgen sind massive Benachteiligungen im gesellschaftlichen Leben u. a. in der sozialen und medizinischen Versorgung. Im schlechten Fall: Die erschreckende Zunahme (europaweit) von gerichtlich/ forensisch festgehaltenen psychisch kranken Menschen in mangelhaft ausgestatteten geschlossenen Anstalten und Verabreichung von Medikamenten, welche die Lebenserwartung um bis zu 20 Jahre verkürzen. Im besten Fall: Schwerpunktmäßige Ghettoisierung (wie im UNO-Bericht 2013 zu Recht kritisiert als „old fashioned charity model“) in gut gemeinten Sondereinrichtungen – wie Sonderschulen, Heimen mit mangelhaften Struktur- und Personalausstattungen, die der Gleichstellung in der Menschenwürde nicht gerecht wird. Das Andenken an Herrn Anton Wimmer, einem einfachen, intelligenten und gutmütigen Menschen, der weitestgehend sein selbständiges Leben meisterte, soll uns in St. Johann auch Stolperstein und Denkanstoß sein:
Markus Masoner | Psychiater und Pate |
Quellen:
Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde | EHRI (European Holocaust Research Infrastructure), Finckensteinallee 63, 12205 Berlin
Dokumentationsstelle Hartheim | Documentation Centre Hartheim, Schlossstraße 1, 4072 Alkoven
DÖW | Altes Rathaus, Wipplingerstraße 6-8, 1010 Wien
Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde | EHRI (European Holocaust Research Infrastructure), Finckensteinallee 63, 12205 Berlin
Dokumentationsstelle Hartheim | Documentation Centre Hartheim, Schlossstraße 1, 4072 Alkoven
DÖW | Altes Rathaus, Wipplingerstraße 6-8, 1010 Wien